Die Mission des Austronauten
„Die Fledermaus“ am Staatstheater Mainz
FAZ, 19.1.2009
Am Anfang ist da nur ein Wesen im Raumanzug, das eine österreichische Fahne aufpflanzt. Der Mond wird von einem „Austronauten“ in Besitz genommen, allerdings nicht als Ort nachtbebender Romantik. Denn die Aufführung wird von der Residenz einer Kleinstdiktatur aus geleitet: der Loge des Hausmeisters. Er, in graublauem Arbeitskittel, pedantisch und notorisch unzufrieden, ist der Entscheider; kaum der Rede wert ist es, wer unter ihm den Intendanten oder die Dirigentin geben darf.
Robert Lehmeier hat für seine Inszenierung der „Fledermaus“ von Johann Strauss die geläufige Idee, die Rahmenakte der Operette desillusionierend in die Gegenwart zu ziehen, weiterentwickelt. Am Staatstheater Mainz befördert er den Gefängnisaufseher Frosch (Lars Reichow) zum Aufpasser des gesamten Stücks. Daher agieren die Personen nicht nur an den Fäden des intriganten Dr. Falke (Patrick Pobeschin), dieser Strippenzieher des Stücks wird selbst zur Marionette des Graukittels. Das gibt zunächst Rätsel auf, um im weiteren Verlauf tieferen Sinn zu entfalten. Das Eisensteinische Wohnzimmer, Schauplatz des ersten Akts, hat Bühenbildner Harald Thor als Ort unerträglicher Enge gestaltet, voller Vasenkitsch und billig nachempfundenem Hofstil unter Schonbezügen. Der Ausbruch in die Pracht des anschließenden Ballakts gerät so zur seelischen wie physischen Notwendigkeit. Die Regie gestaltet ihn opulent aus, was das akkurat aufspielende Staatsorchester unter Generalmusikdirektorin Catherine Rückwardt dazu veranlasst, sich endgültig dem Schwung der Operette anzuvertrauen. Patricia Roach spielt einen köstlich hüpfenden Orlofsky, Rosalinde von Eisenstein (Susanne Geb) mutiert zur paprikascharfen ungarischen Adeligen, ihr ohrsesselaffiner Gatte (Alexander Spemann) zu ihrem auch stimmlich entfesselten Anbeter und französischem Marquis. Da will Gefängnisdirektor Frank (Jürgen Rust) nicht nachstehen und gibt den Chevalier Chagrin, während die Dienstmädchen Adele (Ana Durlovski) und Ida (Alexandra Samouilidou) die begnadeten Nachwuchskünstlerinnen mimen.
Man wacht im Frankschen Gefängnis respektive in den Trümmern der verflossenen Ballnacht wieder auf. Die Innereien der Kulisse starren, und Frosch gibt die Auskehrseite der Medaille. Doch wie in Mozarts „Cosi fan tutte“ erwägt keiner der Beteiligten, etwas aus dem berauschenden Rollenspiel mit hinüberzunehmen in den Alltag. Man fügt sich dem Diktat des personifizierten Grauschleiers. Und die Selbstverständlichkeit, mit der dies geschieht, ist bedenklicher als der zur Schau gestellte Mangel an sittlicher Festigkeit. Das Premierenpublikum zeigt sich dem keineswegs pflegeleichten Regiekonzept gegenüber erfreulich aufgeschlossen. Das mag auch daran liegen, dass Lehmeier die Welt der Operette nicht schnöde dekonstruiert, sondern hinter der Tristesse der Wirklichkeit gelegentlich den Zauber der Illusion verführerisch aufleuchten lässt.