The Rake´s Progress – Opernwelt

The Rake´s ProgressStrawinsky: The Rake´s Progress
Opernwelt 4/2003

Was soll man zuerst loben? Den so nur noch selten erlebbaren Ensemblegeist, von dem die Produktion getragen wird? Die sämtlich überzeugenden Solisten, die sängerdarstellerisch so sicher agieren, als ob es nichts Selbstverständlicheres gäbe, als in Coburg Strawinski zu singen? Die Choristen, die hier schon für ihre szenische Präsenz einen Sonderpreis verdienten? Die Instrumentalisten, die dem auf Übersicht bedachten, aber gleichzeitig wagemutigen Dirigenten so geschmeidig folgen, als wäre das Stück ständig im Repertoire und nicht zuletzt vor zwanzig Jahren?

Die Eingangsfrage ist trotzdem eher rhetorisch: Robert Lehmeier heißt der Regisseur, dessen „Schlaues Füchslein“ noch in allerbester, frischer Erinnerung ist und der auch dieser Neuinszenierung nicht nur das geistige (und geistreiche) Gerüst gegeben, sondern ihr blutvolles Theaterleben eingehaucht hat. Lehmeier bringt, unterstützt von seinem Team, das Kunststück fertig, die Strawinski-Oper einer strikten Idee unterzuordnen und dabei doch nichts zu verlieren. Im Gegenteil.

Alles spielt im Kaufhaus, wo Nick Shadow seinem willigen Opfer in der Uhren- und Lampenabteilung ein erstes Licht aufsetzt und wo Mother Goose ihre Schaufensterpuppen-Mädels aus der Wäscheabteilung in Einkaufswagen auf Männerfang schickt. Die schöne bunte Warenwelt ist in Wahrheit ziemlich uniform, schwarz-weiß und voller Plastik. Wer in dieser progressiven Konsumgesellschaft etwas auf sich hält, ist sogar körperlich gestylt! Folgerichtig fällt die Türkenbaba vor allem deshalb aus dem Rahmen, weil sie richtig dick ist.

Die Regie hat viele zündende Einfälle und erfindet Nebengeschichten, die dennoch das Wesentliche erzählen: Wenn die Putzfrau angesichts des melancholischen Titelhelden zögert, ihren Staubsauger anzuwerfen, hat das hochkomisches Format, als wär´s ein Stück von Karl Valentin. Was freilich auch deshalb funktioniert, weil James McLean ein Ausnahmetenor ist, der stimmlich und darstellerisch vollkommen natürlich wirkt.

Der richtige Zeitpunkt ist immer wieder ein Thema (was der hier schwangeren Anne Truelove von Beginn an deutlich anzusehen ist), der falsche Ort selbstredend auch. Und die Moral von der Geschicht? Jeder hat verstanden, dass alles seinen Preis hat: dank einer szenischen Optik, die einprägsam und stimmungsvoll ins Schwarze trifft, dank einer akribischen Personenregie, die neben der leichten Hand für theatralische Wirkungen, für Witz, Ironie und Tempo über etwas verfügt, das man nicht lernen kann: das Gespür für jene Körpersprache und Bewegungen, die direkt aus der Musik kommen. Großer Jubel.

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