K.Projekt 12/14 – NZZ

K.Projekt 12/14Multiples Kafka-Personal
Hans-Jürgen Boses „K.Projekt 12/14“ in München
Neue Zürcher Zeitung, 29.6.2002

Eines Morgens als riesiger Käfer aufzuwachen und die Welt so aus den Angeln gehoben zu haben – eindringlicher lässt sich Unangepasstheit wohl kaum schildern als mittels jener über Nacht vollzogenen Pubertät, die den jungen Geschäftsreisenden Gregor Samsa ereilt. Doch Kafka wäre nicht Kafka, würde sein Protagonist an dem Anderssein nicht doch noch scheitern. Von der Familie bekommt Käfer Gregor seine Unterlegenheit deutlich zu spüren. Er wird zum Gegenstand von Ekel und Verachtung und macht schließlich in einer Art Opfertod Platz für neue Lebensperspektiven der Familie. Kafkas Trauma des übergrossen Vaters spielt dabei nicht ausschliesslich, aber auch eine Rolle. Und so passt der Kafka-Stoff gut in das Generalthema der Premieren im Rahmen der diesjährigen Opernfestspiele in München: „Über:Väter“. Eröffnet wurde sie jetzt mit der Uraufführung von Hans-Jürgen Boses „K.Projekt 12/14“ im Cuvillés-Theater.

Bose greift für das gut einstündige „K.Projekt“ auf Textfragmente aus „Die Verwandlung“ nd „Der Prozess“ zurück und flicht Tagebucheinträge und Briefzitate in diese Collage, hält sich aber grob an den Handlungsablauf der „Verwandlung“. Vor allem entwickelt er ein recht ungewöhnliches Bühnenkonzept (hier realisiert von Regisseur Robert Lehmeier) mit multimedialen Mitteln (Video: Marie Reich, Ton: Christian Heyne, Thomas Rott). Nicht dass Videoeinspielungen auf der Opernbühne eine Revolution wären, doch bilden sie in diesem Fall einmal keine mehr oder minder überflüssige Dreingabe zwecks Erhöhung des Stressfaktors, sondern treten gleichsam als handelnde Personen in Interaktion mit dem Bühnengeschehen. Das wiederum wird von nur zwei Spielern bestritten einem Cellisten (Sebastian Hess) und einem Countertenor (Christopher Robson). Die Fähigkeit des Countertenors, sich stimmlich in männliche wie weibliche Lagen zu versetzen, nutzt Bose zur permanenten Metamorphose dieser Figur. Christopher Robson stellt das gesamte Kafka-Personal, ist Käfer Gregor, Vater und Mutter Samsa, die Schwester Grete, Kafkas Verlobte Felice Bauer, Josef K. und einige mehr – teils auf der Bühne, teils auf Video. Und Entsprechendes gilt für die Musik. Auch sie speist sich fast gänzlich aus den beiden Quellen Cello und Stimme, erfährt aber, wie die visuelle Seite, mittels Toneinspielungen eine Multiplitkation und Verfremdung.

Die personelle Beschränkung hat freilich nichts mit Sparsamkeit zu tun. Requisiten wie Hüte, Brille, Rock (Austattung: Harald B. Thor) charakterisieren zwar die eine oder andere Rolle, dennoch wird unmissverständlich klar, dass es sich immer wieder um dieselbe Person handelt. Und selbst der Cellist, der den Sängerspieler kommentierend und charakterisierend in Gespräch und Selbstgespräch begleitet, ist optisch als Alter Ego von K. usw. gekennzeichnet. Kafka ist eine einzige multiple Persönlichkeit. Oder genauer: Was wir hier vorgeführt bekommen, ist der Blick in das Innere eines Individuums, das seine Umgebung wahrnimmt und darin doch nur immer wieder sich selbst spiegelt.

Dass der Uraufführungsproduktion dies so schlüssig gelingt, ist den Beteiligten zu verdanken, die auf hohem Qualitätsniveau arbeiten.

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