Der Zarewitsch – Sächsische Zeitung

Der ZarewitschLehar „Der Zarewitsch“ Sächsische Zeitung

Sehnsucht nach dem Märchenprinzen

Lehars „Zarewitsch“ an der Dresdner Staatsoperette ist vielschichtig melancholisch, aber eindeutig schwul – und das funktioniert erstaunlich gut.

Der „Soldat am Wolgastrand“ ist eine der populären Melodien aus Franz Lehars Operette „Der Zarewitsch“. In der neuen Staatsoperetteninszenierung ist er, der Soldat am Wolgastrand, die personifizierte Sehnsucht des Titelhelden. Dabei erzählt die Operette eigentlich von einem kontaktscheuen Zarewitsch, der sich in die „eingeschmuggelte“ Geliebte verliebt, die ihn auf Geheiß seines Onkels auf den Ehestand vorbereiten soll.

Robert Lehmeier inszeniert seine Sichtweise auf die Geschichte konsequent, führt die Figuren so, dass, selbst wenn Stückvorlage und Inszenierungsidee zu kollidieren drohen, die Handlungsmotive und Haltungen der Beteiligten klar ablesbar und glaubwürdig sind. Lehmeier und sein Team nehmen damit wieder einmal einen Lehar von der Musik her ernst, befragen die Geschichte aus dem Heute und realisieren eine Lesart, die, ohne dem Stück Charme und Unterhaltungswert zu nehmen, hintergründig und nachdenkenswert ist.

Christopher Tölle ist als Choreograph für die genretypischen Tanzeinlagen des Balletts zuständig, die er mit Geschick, Fantasie und einem Gespür für skurrile Komik realisiert. Daneben führt er die Sehnsuchtsebene, den „Märchenprinzen vom Ballett“, in den sich der Zarewitsch träumt. Ausstatter Markus Meyer ergänzt das Team, das schon mit „Giuditta“ eine ansprechende Arbeit vorgelegt hat. Auch hier ist es wieder ein großer, bildhaft eindrucksvoller Grundbau, der sich in die unterschiedlichsten Handlungsorte verwandeln lässt. Es ist ein großes Spiegelkabinett, das Prunk- und Ballettsaal ebenso assoziieren kann wie Jahrmarktbude oder Irrgarten. Ein Vorhanggemälde im Hintergrund assoziiert „Russland“ und verdeckt oder zeigt immer wieder den allgegenwärtigen allmächtigen Despoten, der über alles wacht. Väterchen Zar wird als mürrischer Alter in einem bemerkenswerten Auftritt von Herbert G. Adami gespielt, im Bühnenbild ist es Wladimir Putin. Das wiederum ist ein konsequentes Statement zum Thema Machtmissbrauch und Homophobie, das die Aktualität der Geschichte unterstreicht.

Das Ensemble der Staatsoperette spielt professionell, engagiert und mit oftmals sichtbarem Vergnügen. Das beginnt im Graben, von wo aus Chefdirigent Schüller einen klangvollen, tragfähigen und nuancenreichen Lehar klingen lässt. Das geht weiter über einen gut einstudierten und genau geführten Chor bis zum Ballett, das wieder ein breites Spektrum seiner Leistungsfähigkeit präsentieren kann.

Richard Samek spielt den Zarewitsch sehr weich, sehr zart, melancholisch und unentschlossen. Dem entspricht auch die stimmliche Gestaltung mit viel Mut zu leisen Tönen, die das Falsett dem erzwungenen Kraftakt vorzieht. Dieser Zarewitsch ist glaubwürdig einer, der sucht und sich zaghaft zu seinen geheimen Sehnsüchten bekennt. Die Regie macht es ihm leicht, die erwachende Liebe – bei Lehar zur Tänzerin Sonja – auf den Soldaten zu richten.

Die schwierigste Aufgabe jedoch hat Sonja. Sie wird dem Zarewitsch „zugeführt“, um ihn ehetauglich zu machen. Das ist ein hoffnungsloses Unterfangen, wenn, wie in der Inszenierung angelegt, der Zarewitsch tatsächlich schwul ist. Sonja ist intelligent, realistisch und patent. Sie hat Verständnis für den Zarewitsch und seine Situation. Sie wird zu seiner Vertrauten, erfährt seine Nähe und Freundschaft und weiß doch, dass er sie nie wird lieben können. Diese mehrfach gebrochene Figur ist bei Astrid Kessler bestens aufgehoben. Sie spielt die Figur einerseits stark und selbstbewusst, andererseits verletzlich und verunsichert. Sie ist differenziert in ihren schauspielerischen Mitteln, dazu singt sie die große Partie mit klarer und farbenreicher Stimme.

Das wehmütig-pathetische Ende von Lehars Operette – der Zarewitsch verzichtet aus Pflichtbewusstsein und für sein Volk auf sein persönliches Glück – wird hier zu einer beängstigend grauen Szene. Sonja und der verlassene Soldat sind ebenso einsam wie der Zarewitsch, den das System eingliedert. Das ist kein mitreißendes, nicht einmal ein wehmütiges, sondern ein schlicht trostloses Ende. Dennoch zeigte sich das Premierenpublikum begeistert und feierte das gesamte Ensemble. Ein paar halbherzige Unmutsäußerungen gegen die ungewöhnliche Regiesicht gingen im allgemeinen Jubel unter.

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