Alles Heldische wird demontiert
In Coburg gelingt kurz vor Saisonende mit „Ariadne auf Naxos“ ein Glanz- und Höhepunkt.
Fränkischer Tag, 13.6.2006
Wer hätte das gedacht? Da thematisiert der Regisseur dezent, aber unübersehbar das Dritte Reich in einer Oper, die vorderhand nichts damit zu tun hat – und es macht (ganz unabhängig von der realen Verstrickung des Komponisten Richard Strauss mit der Nazi-Diktatur) tatsächlich viel Sinn. Und wer hätte gedacht, dass der heldisch-euphorische Schluss von „Ariadne auf Naxos“ auch durch die musikalische Interpretation so gebrochen werden kann, dass am Ende nichts mehr harmlos, leicht und verklärend klingt?
Am Landestheater Coburg ist also eine Produktion gelungen, die unbedingt sehens-, hörens- und erlebenswert ist. An erster Stelle ist das Robert Lehmeier zu danken, dem Regisseur, der hier schon mehrfach für Opernabende der Spitzenklasse gesorgt hat. Seine Interpretation des gern nur als Leckerbissen für Kenner verkannten Stücks erreicht nicht nur durch die lobenswerte Übertitelung viele Zuschauer, sie bezieht sie gewissermaßen auch mit ein.
Der direkte Draht entsteht dadurch, dass die ungemein präzise einstudierten Sängerdarsteller anders als sonst das Publikum nicht negieren, sondern es indirekt (im Vorspiel) bzw. direkt (im sog. Opernteil) anspielen. Ausstatter Tom Musch hat die Künstlergarderobe im Haus des „reichsten Manns von Wien“ samt Couchgarnitur vor einen imaginären Spiegel gestellt, in den die Solisten immer wieder so intim schauen, dass sie dem Publikum ungewohnt nahe sind.
Im folgenden Opernteil dürfen sich die Zuschauer direkt angesprochen fühlen. Die dezente Beleuchtung des Auditoriums ermöglicht den Akteuren auf der Bühne, ganz konkret Blickverbindungen aufzunehmen. In letzter Konsequenz heißt das: Die Zuschauer sind „der reichste Mann Wiens“, der sicher nicht nur die Auftritte der konkurrierenden Künstlertruppe finanziert. Haben nicht auch etliche sehr reiche und kunstsinnige Männer dem Führer viel Geld gegeben?
Die gegebenen Gegensätze von leichter und ernster Muse, die Konflikte von Kunst und Künstlern sind in dieser Lesart also eher im Vordergrund. Dahinter steht durch die zeitliche Verankerung in den 30er Jahren zunehmend die Politik. Während im Vorspiel nur der Auftritt des herrischen Offiziers und die plötzliche Flucht des Tanzmeisters für Irritation sorgen, geht es im zweiten Teil des Abends handfester zu: Da sieht der scheinbar harmlose Ufa-Star aus Linz plötzlich aus wie Leni Riefenstahl leibhaftig, die in Erwartung ihres Helden als ihren Ariadnefaden ein rotes Hakenkreuz stickt.
Passend zum WM-Fieber erkennt man plötzlich Anspielungen auf die Olympiade 1936 und die heroische Körpersprache Arno Brekers. Spätestens wenn die Nymphen mit Stahlhelm und Volksempfängern sich zunehmend nicht in romantisierenden Nebelschwaden, sondern mitten im Kriegsgewitter verlieren, wird klar, dass es nicht nur um Mythen geht. Und Zerbinetta, in zahllosen Inszenierungen nur die Leichtsinnige, Oberflächliche, Ungetrübte, gewinnt hier eine Tiefe, die die angeblich tragische Ariadne in die Schranken verweist – und alle Helden demontiert.
Die Solisten, allen voran die drei tragenden Frauenfiguren mit der überwältigenden Christine Graham als Zerbinetta, Stefanie Smits in ihrer letzten Coburger Rolle (Primadonna/Ariadne) und Petra Gruber (Komponist), geben ihr Bestes. Das Orchester unter Alois Seidlmeier meistert zunehmend die delikate Aufgabe, sowohl im Komödiantisch-Leichten als auch im Tragisch-Schweren etliche Fragezeichen hörbar zu machen. Es ist eine nachhaltige Erfahrung, wie bedrohlich schief doch ein paar Strauss´sche Walzertakte klingen können. Großer Jubel.