Angela – eine Nationaloper – FTD

Angela - eine NationaloperPolitik der warmen Hand
Zwanzig Meter unter dem Reichstag macht die Neuköllner Oper Angela Merkel zur Heldin eines Politstücks
Financial Times Deutschland, 20.8.2002

Zum Schluss ein Schuss. Kathrin Unger, die das trotzige, tapfere, säuerliche Lächeln der Angela Merkel einen Abend lang auf ihrem Gesicht getragen hat, sitzt beim Wolfratshausener Frühstück dem bayerischen Ministerpräsidenten gegenüber. Sie verzieht keine Miene. Zieht eine Pistole, schießt. Aber Stephan Korves stoibert ungerührt weiter: „Das Heil Deutschlands ist schon immer vom Süden ausgegangen“. Angela schießt noch mal. Dann noch mal, zur Sicherheit. Stoiber lächelt, faselt, stiefelt aus dem Raum. Kein Kraut scheint gegen den Bayer in Jodeljacke gewachsen. Ein Zombi?

In Berlin, wo so viel gebaut wird, dass es auf einen U-Bahnhof mehr oder weniger auch nicht ankommt, leistet sich der Senat eine Reichstags-Stationsruine von gewaltigen Ausmaßen; die Neuköllner Oper hat sich darin eine Bühne gebaut. Mit „Angela“ hat sie die Oper nicht nur auf den aktuellen Stand der Geschichte gebracht, sondern auch noch den ganz großen Coup gelandet: Selten stößt eine Oper auf ähnlich beeindruckendes mediales Interesse; Reuters sogar, sonst nicht gerade für ausufernde Kulturberichterstattung bekannt, ist auf die Angela-Formel gestoßen: Merkel singt, Stoiber nicht.

Der lässt Michael Glos für sich knödeln, so hat es sich der Kabarettist Michael Frowin ausgedacht. Er hat Merkels Kreuzweg in 17 Stationen gedichtet, von der in einer Sauna verschwitzten Wende bis zur Semmelkur im Hause Stoiber. Dabei ist ihm ein kleines Wunder gelungen. Ein witziges Stück über die Ich-Findung im politischen Medienzirkus. Denn um Angela herum tobt der Wahnsinn in der Gruselmaske der Polit-Clowns: Michael Bielefeldt quiekt genau wie Roland Koch im richtigen Leben, er zieht die gleiche Bin-jetzt-beleidigt-Schnute. Christian Grygas springt mit roten Rosen durch die Show, ein ewig Rotwein trinkender Westerwelle-Klon.

Und trotz alledem ist Frank Schwemmers Oper keine schnelle Schenkelklopf-Revue für SPD-Wahlveranstaltungen geworden. Sie ist so gut gelungen, dass man wegen ihres nahen Verfallsdatums nicht wie bei vielen anderen Novitäten hoffen darf, sondern fürchten muss: Am Wahlsonntag ist Schluss mit der Vorstellung. Frank Schwemmers Musik beginnt im Ton erprobter Moderne, doch keine Angst: Schnell wechselt das von Hans-Peter Kirchberg dirigierte Kammerensemble zur Combo. Wenn Westerwelle wabert, wenn er mit Angela durch Tom Muschs tristen Verwaltungsraum tanzt, dann beflügelt ein verzweifelter Swing die Schritte. Sobald Merkel und Schäuble auf Wanderschaft gehen  – er rollt, sie schiebt – , entspinnt sich ein wunderlicher Gleichklang aus Wanderlied und Politikgebrabbel. Natürlich wird die Musik lederhosig, sowie der Mann aus dem Süden auftaucht: Der Berliner Frank Schwemmer hat Zitat und Parodie montiert, was zwei Stunden dauert und kein bisschen langweilig wird, weil der Komponist nicht müde wird, Frowins zitatgespicktes Libretto mit seinen eigenen Mitteln zu kommentieren.

So viel Ironie setzt größte Textverständlichkeit voraus: Das ist nicht gerade die ausgeprägteste Tugend der Oper. Aber die Sänger, sogar der Champagner schlürfende Chor der Medien-Promis bezwingen den grausamen Hall in der Halle – man versteht sie so gut, dass man wünschte, der Dirigent Kirchberg wollte noch gemeiner Funken aus Schwemmers Partitur schlagen. Aber vielleicht, auch das mag sein, kann man dem Raum nur ähnlich schwer beikommen wie Angela dem selbst gekrönten Kanzlerkandidaten: Das Ensemble spielt auf einer Betonrampe, hoch über dem Männer-Wahnsinn der Union.

Die Choreographie der Macht hat Robert Lehmeier entdeckt: Mit Getrippel und Ausfallschritt schickt der Regisseur seine Sänger durchs Gestrüpp. Angela allein ist der ruhende Pol im Getümmel und versucht so gut sie nur kann, ihre Würde zu bewahren als Frau unter Männern, als Physikerin unter Juristen.

Die „Neuköllner“, nicht nur klug berechnend, sondern auch ganz und gar unbescheiden, reihen ihren „Angela“-Wurf vorsorglich schon einmal in die Ahnengalerie der Musikgeschichte ein – irgendwo zwischen Monteverdi und Verdi. Dabei funktioniert Schwermmers Musiktheater – formal eine ungetrübte Nummernoper – keineswegs wegen dramatischer Fallhöhen. Sondern weil die vergnügliche Parodie auf Tagesschau-Aktualitäten unentwegt einen herben Dämpfer bekommt durch das eigentlich triste Märchen vom klugen, armen, braven Mädchen, das nie so werden wollte wie die anderen.

Leicht vergisst man´s: Oper machen ist schwer. Und aufwändig. Dass sie trotzdem aktuell sein kann und witzig, das ist das Vergnügliche an der Neuköllner Uraufführung. Schade wär´s, verdammt schade, wenn der U-Bahnhof Reichstag schon die Endhaltestelle für „Angela“ sein sollte.

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