Angela – eine Nationaloper – AZ

Angela - eine NationaloperMädchen mit dem rollenden Donnerwetter
Spannendes Stolpern: „Angela. Eine Nationaloper“ in Berlin
Abendzeitung München, 17.8.2002

 

Gleich um die Ecke kann man sie als Duett haben, den verkanteten Kandidaten und die völlig losgelöste Vorsitzende. Edmund Stoiber und Angela Merkel versprechen vom Wahlplakat, wie überall in der Republik, gemeinsame „Zeit für Taten“. Was in Berlin schon zwangsläufig zu handschriftlichen Korrekturen, mit dem „ü“ fürs „a“, geführt haben soll. Egal – hier, den berühmten Steinwurf vom Plenarsaal des Bundestags entfernt, steht auf dem großen Transparent einfach nur „Angela“. Mit einem Pfeil nach unten. Nix Allensbach, nur Wegweiser! Zwischen Reichstag und Kanzleramt ist ein U-Bahnhof ohne Gleisanschluss – unvollendet wie die Karriere der Titelheldin – zur Uraufführungsbühne für „Angela. Eine Nationaloper“ geworden. Zwiegesang im Untergrund zwischen Edmund („Bayern bin ich“) und Angie („Ich bleibe ich“) wird allerdings nicht geboten, denn die Neuköllner Oper hat Stoiber als einzigem der auftretenden Politiker die Noten verweigert.

Eine flinke Kabarett-Revue schwebte Michael Frowin (Text) und Frank Schwemmer (Musik) offensichtlich weniger vor, denn sonst hätten sie beim Blick auf die 13-jährige Karriere von „Kohls Mädchen“ nicht ausgerechnet den ergiebigen Polit-Papa weggeblendet. Der B-Kader muss ran – Schäuble und Koch, Glos und sogar („Ich bin der Guido“) Westerwelle – damit das Gleichgewicht des Schreckens seine Chance bekommt: „Angie, die Schlange, wem wird da nicht bange“.

Die Herren Berufspolitiker kommentieren bitterlich die höhere Gewalt einer Damen-Karriere und Michael Glos, mit dem Nürnberger Bassisten Joachim Fuchs landsmannschaftlich korrekt besetzt, reagiert auf Marktwirtschafts-Pathos aus diesem Munde mit einem herzhaft grollenden „Jessas!“, das sofort vom Chor aufgenommen wird. Der ist besonders wichtig für das Stück, wenn er als „Meute der Journalisten“ auftritt und wechselseitig „Tüchtig, tapfer, authentisch“ oder „Graue Maus“ echot.

„Hoch emotional und somit operntauglich“ nennt das Autorenteam die Fieberkurve der Merkel-Karriere – und grenzt sie damit ab von den „glatten Politikern“. Vor allem von den Parteifreunden, die im Ernstfall die Krawatte lockern und die Ärmel hochkrempeln. Schmollmund Koch auf der Lauer und Zuchtmeister Schäuble als rollendes Donnerwetter. Mittendrin mit dem kleinen Sturmschritt, der die Wahnsinnsarie bis nach Wolfratshausen trägt, die Sopranistin Kathrin Unger als verblüffende Angela. So nah dran im anspruchsvoll collagierten Gesang wie der Text, der seine stärksten Stellen im Original-Zitat hat.

Musikalisch federt die Oper so unbekümmert, wie es die 25-jährige Tradition des Alternativ-Ensembles aus dem Arbeiterviertel Neukölln vorschreibt, durch alle Stile. Von der Zwölf-Ton-Basis in den Choral, vom schräg gestellten Volkslied in die große Moralisten-Arie, wo (ach ja, man erinnert sich glucksend) von Joschka Fischer die Buße gefordert wird. Regisseur Robert Lehmeier hat das Orchester auf eine Betonmauer gesetzt und den Politikern Ausstellungs-Vitrinen zur Selbstdarstellung hingebaut. Da dürfen sie sich in der Illusion der eigenen Bedeutung räkeln. Am Ende ist es vorbei mit dem Realismus.

Zum Frühstück in Bayern, wo Stoiber gnadenlos unmusikalisch mit einer argumentativen Endlosschleife wartet („Das Heil der Deutschen ist immer schon vom Süden ausgegangen“), hat die Besucherin einen Revolver mitgebracht und feuert hinein in die Floskeln. Es müssen Platzpatronen gewesen sein, der Kandidat schreitet ungerührt von dannen.

Seit „Nixon in China“ hat das Musiktheater wohl nie wieder so direkt auf Tagespolitik gezielt und  so genau getroffen. Mag die behauptete Fallhöhe der Figuren auch zweifelhaft sein, im Stolpern verbreiten sie Spannung.

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