L´Etoile – Opernwelt

L'EtoileNeuer Stern am Operettenhimmel
Opernwelt 1/2010 (Focus)

Bis zum Bersten ist dieses Stück mit echten Operetten-Ohrwürmern und musikalischen Raffinessen gefüllt, ist voller Charme, Frivolität und unverhohlenem Spaß am Absurden und besitzt sogar einen zündenden Cancan. Wenn es in der Welt mit rechten Dingen zuginge, müsste Emmanuel Chabriers „L´Etoile“ eigentlich an jedem Stadttheater Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ den Rang der meistgespielten französischen Operette streitig machen. Erstaunlicherweise aber ist die 1877 uraufgeführte Opéra-bouffe bis heute eine Rarität auf den Spielplänen: Selbst Operettenguru Volker Klotz lässt das Werk links liegen, und nicht einmal John Eliot Gardiners 1985 erschienene exemplarische Lyoner Einspielung konnte an dieser Missachtung viel ändern. Ob die soeben beim Bärenreiter Verlag erschienene Urtext-Edition dem „Etoile“ endlich zu seinem Recht verhilft, steht in den Sternen, zumindest aber nutzen in dieser Saison gleich drei Opernhäuser die Tatsache, dass das Aufführungsmaterial des Werks endlich problemlos verfügbar ist: Noch vor der Berliner Staatsoper, wo Simon Rattle und Gattin Magdalena Kozena im Mai 2010 den „Etoile“ funkeln lassen wollen, haben jetzt die Theater in Genf und Bielefeld zugegriffen.

Einfach macht es Chabrier seinen Interpreten nicht, sein Grundton verspielter Selbstironie ist szenisch ebenso schwer zu treffen wie musikalisch. Denn mehr noch als der extrovertierte Offenbach schreibt Chabrier eine Operettenmusik, die klingt, als sei sie für die Augsburger Puppenkiste gemacht, als suche sie die Fundamentalopposition zur Großen Oper und ihren heroischen Gefühlen, indem sie alles kurz und klein hält – in diesem Sinne nimmt „L´Etoile“ den Diminuitiv der Operette radikal beim Wort.

L'Etoile (Cover Opernwelt 01/10)

Szenenbild aus L’Etoile auf dem Cover der Opernwelt

Zumindest musikalisch sind da kleine Häuser wie Bielefeld klar im Vorteil. Schon in der schmissigen Ouvertüre trifft das Bielefelder Orchester unter seinem Chefdirigenten Peter Kuhn perfekt den Nerv dieser Musik, die in ihrem Potpourricharakter gut gelaunte Anarchie zum Leitmotiv des Abends erhebt. Kein Zweifel: Das Stück gehört in solche Häuser.

Jean-Yves Ossonce hat es am Grand Théatre de Genève ein gutes Stück schwerer mit dieser Musik, die nicht erwachsen werden will : Im Breiten Orchestergraben zerfällt ihm Chabriers oft geradzu uhrwerkhafte Partitur in ihre Einzelteile, und obwohl Ossonce sich um Drive bemüht, liegt der opulent sinfonische Klang des Orchestre de la Suisse Romande mit seinen fülligen Bläsern und seinen seidenmatten Streichern wie Mehltau auf den Noten.

Auf der Bühne des Grand Théatre macht Jerome Savary im Grunde nicht viel anderes: Um die Operettenminiatur auf Opernhausformat zu bringen, bläst er sie einfach auf. König Ouf, dessen märchenhafte Bindung an das Schicksal des armen Hausierers Lazuli den romantischen Faden des Stücks liefert, ist hier ein ulkiges Michelin-Männchen. Dieser Herrscher über ein knallbuntes Spielzeugreich befehligt nicht nur eine Spielkartenarmee, die offenbar in Alice´s Wunderland rekrutiert wurde, sondern auch einen Harem von Hostessen, die sich sein Ausstatter Ezio Toffolutti bei Fernand Leger ausgeborgt  hat – wie überhaupt reichlich dämliche Kalauer nach dem Motto „Wenn Sie etwas nicht verstehen, ist das todsicher Moderne Kunst“ den Abend durchziehen.

Bei Robert Lehmeier in Bielefeld geht es da erheblich keuscher und auch etwas poetischer zu. Der Stern lenkt hier als alte Fee mit Zauberstab die Geschicke der Menschen in den Vorzimmern und Büros von Oufs Reich, und Lazuli, der bei Savary als schrill aufgebürsteter Cousin von Humperdincks Hänsel über die Bühne stakst, ist hier tatsächlich ein smarter Junge mit Monjou-Bärtchen, dem man sein Interesse für die aparte Prinzessin Laoula abnimmt. Dass auf der munter rotierenden Drehbühne mitunter auch ein bisschen Leerlauf herrscht und die schrillen Bienenkorb-Frisuren ebenso wie das Sixties-Setting mittlerweilen arg abgegriffen sind – geschenkt. In Bielefeld ist das jedenfalls noch für genügend Lacher gut, und natürlich fehlt auch die Travestie-Note nicht, die inzwischen offenbar für Inszenierungen französischer Operette obligatorisch ist. Doch hier ist es König Ouf selbst, der im Tutu auftritt, was der Sache ein anderes Gewicht verleiht: In Bielefeld ist der Monarch nicht bloß ein harmloses Kerlchen, sondern ein brutaler, sentimentaler und grotesker Willkürherrscher nach dem Muster von Alfred Jarrys „Roi Ubu“. Diesem Anarchisten von oben verleiht der Kanadier Eric Laporte mit seinem gepanzerten Tenor raumfüllende Gefährlichkeit, während der schon etwas abgeblätterte Spieltenor von Jean-Paul Fouchécourt den Regenten in Genf zur quengeligen Göre verkleinert.

Ohnehin kann es Bielefeld gesanglich durchaus mit der finanzstarken Schweizer Konkurrenz aufnehmen: Im Gegensatz zu Marie Claude Chappuis in Genf kann Susann Kreusch ihren Lazuli singen. Ihr burschikoser Mezzosopran passt überdies gut zur zickigen Laoula von Victoria Granlund, wie überhaupt in Bielefeld ein eher schnippischer Operetten-Grundton herrscht.

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