L´Etoile – NW

L'EtoileTyrann im Tütü
Kurzweiliges Vergnügen:
Emmanuel Chabriers absurde Operette „Der Stern“ am Theater Bielefeld

König Ouf ist ein schräger Vogel, aber auch ein gefährlicher. Zu seinem Geburtstag pfählt er gern einen Regimekritiker. Nur will ihm den Spaß niemand gönnen. Alle loben den Tyrannen, der sich inkognito unter das Volk gemischt hat. Eine bizarre Situation, die Emmanuel Chabriers Operette „Der Stern“ zu Beginn aufreißt. Aber es wird noch bizarrer.

Denn kaum hat Ouf in dem Straßenhändler Lazuli ein Opfer gefunden, kommt der Hofastrologe Siroco mit einer Nachricht um die Ecke: Sollte Lazuli sterben, hat Ouf nur noch einen Tag zu leben. Und auch Siroco selbst wird den Tyrannen nur um eine Viertelstunde überleben.

Die Hinrichtung wird abgeblasen. Der König hofiert Lazuli. Der brennt mit der inkognito angereisten Prinzessin Laoula durch, die eigentlich Ouf heiraten soll. Als Lazuli scheinbar auf der Flucht erschossen wird, bangt Ouf um sein Leben. Eine irrwitzige Story, deren Reiz in ihrer Absurdität, den überraschenden Wendungen und komödiantisch ausgereizten Details liegt. Und die fallen in dieser temporeichen, aber nie überdrehten Inszenierung von Robert Lehmeier originell aus. Sein „Stern“ stellt sich als Groteske dar, in der Lustbarkeit und Grausamkeit nah beieinander liegen und das Thema Macht auf mehreren Ebenen subtil beleuchtet wird.

Das Bielefelder Theater kann sich in eine Reihe bedeutender Häuser einreihen, die die selten gespielte, französische „opéra-bouffe“ aus dem Jahr 1877 in dieser Spielzeit wiederbeleben. Die „Ausgrabung“ hat sich gelohnt. Der Bielefelder „Stern“ ist komisch, parodistisch, leicht und frivol, aber auch abgründig.

Überhaupt sorgen das virtuose Hin- und Her, die Umkehrungen und Brechungen für Spannung, und das auf jeder Ebene: Zum einen in der zitaten- und anspielungsreichen Musik Chabriers, die ständig Kapriolen schlägt. Dann im unvorhersehbaren Spiel der Figuren, aber auch in der originellen Ausstattung (Bühne und Kostüme: Tom Musch).

Musik und Szene sind intelligent verzahnt. Etwa, wenn Lazuli, temperamentvoll gespielt und funkelnd gesungen von Mezzosopran Susanne Kreusch, ein Trinklied singt, das an „Carmen“ erinnert. Dann klappern einige Hofdamen mit imaginären Kastagnetten, um dann synchron schmachtend die Schwanenhälse zu recken. Diese dem spielerischen Impuls entspringenden Details sind bezaubernd. Für den geschmeidigen Ablauf sorgen auf der Drehbühne drei sternförmig angeordnete, edelholzvertäfelte Wand-Elemente, die Bielefelder Theaterbesuchern bekannt vorkommen dürften. Das zweistöckige Labyrinth der Macht hat viele Türen, die abwechslungsreiche Auftritte, aber auch effektive Abgänge erlauben: Als „running gag“ fällt immer mal wieder ein Toter aus einer Tür, der aber nicht weiter beachtet wird.

Groteske Akzente auch bei den fantasievollen Kostümen: Der Tyrann trägt ein rosa Tütü, der Astrologe (markant: Janek Janiszewski) rote Lackpumps und wie als windiger Bruder des wissenden Wagnerschen Wotan eine Brille mit einem schwarzen Glas. Das Volk stellt toupierte, karierte Biederkeit zur Schau, ins Lächerliche gewendet durch Mickymausohren.

Die schillerndste Gestalt im Operettenstadl ist König Ouf. Der kanadische Tenor Eric Laporte überzeugt nicht nur mit seinem kraftvollen, warm timbrierten Tenor – er ist auch ein mitreißend spielwütiger Sänger: Sein Ouf ist mal kindischer Clown, mal sadistischer Despot, amüsant und gruselig, stets hysterisch unter Strom und unkalkulierbar.

Victoria Granlund entzückt als Prinzessin Laoula mit kernigem Sopran und oscarreifen Ohnmachtsanfällen. Sarah Kuffner glänzt stimmlich wie darstellerisch als abgebrühte Diplomatengattin Aloé an der Seite des herrlich blasierten Fürsten Hérisson de Porc-Epic (Dirk Mestmacher).

Thomas Winter mimt den dienstbaren Sekretär Tapioca. Schauspielerin Therese Berger als zunehmend verwirrter Stern des Schicksals lässt schmunzeln – ebenso wie die lethargischen Handlanger der Macht, Thomas Doer als Polizeichef und Jean Tambouratzakis als Bürgermeister.

Den Bielefelder Philharmoniker unter Leitung von Peter Kuhn spielen die eingängige, aber raffinierte und farbenreiche Musik Chabriers wendig und schwungvoll. „Der Stein“ ist ein kurzweiliges Vergnügen, und die Entscheidung, die Dialoge auf Deutsch zu sprechen und auf Französisch zu singen, ist goldrichtig.

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