Fanny und Schraube – rbb Kulturradio

Fanny & Schraube„Fanny und Schraube“
rbb Kulturradio, 28.8.2009

„Fanny und Schraube“, das klingt angenehm anspruchslos. Tatsächlich könnte man sich die Liebesgeschichte von Kai Ivo Baulitz auch als Film mit Audrey Hepburn vorstellen. Mit nur einer Stunde Dauer ist sie sogar kürzer als „Frühstück bei Tiffany“.

Ein Hamburger Schiffs-Pleitier namens Schraube will seine im Wert steigende Neuköllner Liegenschaft in Besitz nehmen (was man sich ungefähr so vorstellen darf wie Rolf Hochhuth im BE: Hier steht ein Mensch, lasst mich hier rein). Dabei stößt er auf eine freischaffende Hausbesetzerin, die zugleich malt, und verliebt sich. Ein hauchdünner Handlungsstrang von poetischer Vibrationskraft. Im Ernst: Wie verbohrt war die Neue Musik bislang, dass sie auf solch dankbare Sujets verzichtete!?

Vor elf Jahren wurde Jan Müller-Wielands „Komödie ohne Titel“ an der Staatsoper uraufgeführt. Als Dirigent der von Klaus Maria Brandauer im Admiralspalast versenkten „Dreisgroschenoper“ konnte er Humor brauchen. Hier serviert er ein gekonnt instrumentiertes Dreigroschen-Törtchen für Sextett (Celli, Bläser und Schlagzeug), das eine große Besetzung souverän vortäuscht. Durchs zum Teil verjazzte, disharmonische Dickicht führen tonale Wanderwege. Wodurch man die Ohren aufsperrt und etwas verspürt, was im Musiktheater selten geworden ist: musikalische Neugier.

Auch durch die Inszenierung von Robert Lehmeier ist dies beinahe die gelungenste, wenn auch kürzeste Produktion der seit dem Regimewechsel vor fünf Jahren oft richtungslos vor sich hinschippernden Neuköllner Oper. Als schönes Bühnenbild durchteilt eine weiße Welle den Raum als Laufsteg der Lebensängste. Der opalfarbene Ausgehflokati für die vorzügliche Jana Degebrodt ist ein gutes Kostüm.

Man verfügt über ein exzellent gecastetes Solistenquartett (voran Johanna Krumin als Fanny). Die Musik will gefallen – das ist fast schon wieder neu! – , und zwar ohne sich billig zu machen. „Fanny und Schraube“ gibt diesem Haus zwar keine neue Richtung. Dreht aber der ausgenüchterten Avantgarde eine Nase. Ein typischer, ein guter Neukölln-Effekt.

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