Cabaret – musicals

CabaretMusicals Dezember 2011/Januar 2012 Heft 152

Mit “Cabaret” schrieb die Dresdner Staatsoperette im Januar 1976 DDR-Theatergeschichte. Es brauchte ganze 35 Jahre, um sich von der Bürde zu befreien und der damals mustergültigen Aufführung eine Neuinszenierung folgen zu lassen. Der ideologische Überbau ist mittlerweile Gegenwart und damit für das Regieteam um Robert Lehmeier eine Herausforderung, das Stück neu zu befragen. „Life is a Cabaret“ – ein Ebb/Kander-Song, dessen Titelzeile zum geflügelten Wort wurde. Lehmeier zeigt, wie extremes Gedankengut ganz nebenbei in die Welt kommt: Ein Blick, eine Geste, ein Halbsatz, eine Rede. Er überfrachtet diese Dresdner Aufführung nicht mit hinlänglich bekannter Symbolik und gibt damit dem Stück eine Schärfe, die sich dem Nostalgischen verweigert.

Im Kit Kat Club hängen Masken an den Wänden, clowneske Fratzen wie in einer Geisterbahn auf dem Rummelplatz und mittendrin die Larve des „Führers“ – sie werden im Laufe des Abends immer mehr. Konsequent bricht Regisseur Lehmeier mit den Klischees, die jeder im Kopf hat, der das Stück bereits von Bühne und Film kennt. Kein Flitter, kein Glitter, keine Verführung durch die perfekte Show. Was hier passiert, heißt schlicht: Entzauberung und die Aufforderung, hinter die Kulissen des Amüsements zu schauen. Das gelingt genial durch die Ausstattung von Markus Meyer. Das schmierige Cabaret als „Unort“ und die piefige Pension des Fräuleins Schneider sind die wesentlichen Spielorte. Meyers Kostüme sind mehr als Zeitkolorit. Auch hier Verweise in die Entstehungszeit des Stückes und damit zeitlos modern.

Das kommt in erster Linie auch Frederike Haas als Sally Bowles zugute. Ohne jede Exzentrik lebt sie vor allem in ihren Cabaret-Songs, die in dieser perfekten Interpretation, im Original gesungen, zum Szenenapplaus motivieren. Ihre Naivität hat viel mit Verdrängung zu tun, ein guter Job und dann Erfolg haben – mehr zählt nicht. Ihre Unbekümmertheit zeigt den Nährboden für alles politisch Extreme. Die Haas konstatiert es ohne große Geste. Alles, was für sie zählt, ist einzig ihr Bühnenerfolg, den ihr vor allem der Conférencier organisiert, ein metrosexuelles Wesen, das eben so oder so entscheidet, immer scheinheilig und zweckdienlich. Andreas Sauerzapf ist stimmlich kristallklar unschuldig und messerscharf zynisch, ändern kann und will er sowieso nichts. Hauptsache, der Laden läuft. Und von wegen „Two Ladies“, ein ganzes Hunderudel muss es sein. Die „Affen“-Nummer darf dann auch gleich Herr Schultz selbst machen. Das Unkorrekte dieser Aufführung irritiert und fasziniert. Da hat ein Clifford Bradshaw kaum eine Chance. Marcus Günzel spielt ihn in Schockstarre, als einen, der vergeblich das Private mit dem Zeitläufigen zusammenkriegen will und daran scheitert.

Im Zentrum dieser Produktion stehen jedoch Fräulein Schneider und Herr Schultz, der in Dresden einen Vornamen bekommt: Isaak. Auch hier gehen Robert Lehmeier und sein Dramaturg André Meyer einen ungewohnten Weg. Gloria Nowak gibt dem Fräulein Schneider nicht die wehmütige Zartheit einer vom Leben gebeutelten und ehrerbietigen Frau. Hier ist sie eine Zupackende, die die wenigen Chancen, die ihr das Leben bietet, nutzen will. Die hoffnungsvolle Beziehung zum jüdischen Obsthändler Isaak Schultz wird annuliert, weil Fräulein Kost (Iris Stefanie Maier) und Ernst Ludwig ihr es „anraten“. Christian Grygas lässt diesen Ernst Ludwig als netten Nachbarn von nebenan erscheinen, hilfsbereit, verständnisvoll und wie nebenher seine Parolen in die Herzen tröpfelnd. Ein Seelenfresser, dem man auch aus eigenem Interesse und Selbstschutz auf den Leim geht und dem auch ein zu bescheidenem Wohlstand gekommener Schultz nicht beikommen kann. Wolf Dieter Lingk zeigt diesen Schultz mit Brecht´scher Güte und ungewohnt kämpferischem „Miesnick“-Song. Die Ignoranz seines Aufschreis endet bekanntlich in der Katastrophe. Das große Amüsement findet nicht statt. Die Inszenierung lässt uns hinter die Fassade schauen. Pascale Chevroton zeigt in den Choreographien den Dualismus zwischen Perfektion und Dilettantentum.

Musikalisch wird der Abend von Christian Garbosnik geführt. Manchmal beiläufig, um dann giftig und hart die musikalischen Wahrheiten der Chris-Walker-Fassung zu formulieren. Orchester, Solisten und Chor in der Einstudierung von Thomas Runge können auch hier Akzente setzen. Die 45 Jahre, die das Stück auf dem Buckel hat, sieht man ihm in Dresden keineswegs an. Das ist ungewohnt spannend bis zur letzten Note. Großer Applaus.

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