Bordellballade – Rhein-Zeitung

Bordellbalade„Dreigoscherlnstück“: Koblenzer „Bordellballade“ unterhält tiefgründig
Rhein-Zeitung

Koblenz. Manchmal liegt in einem kleinen Buchstabendreher schon der ganze Unterschied. Zum Beispiel wenn aus der „Dreigroschen“-Oper von Bert Brecht und Kurt Weill das „Dreigoscherln“-Stück von Fanzobel und Moritz Eggert wird. Eine Puffmutter und ihre beiden Dirnen mit Namen Rosl, Ferkel und Zuckergoschl: Da entwirft der österreichische Autor Franzobel ein Personal wie aus einem Mutzenbacher-Erotikroman. Und er bleibt zunächst auch nah an Konstellationen, wie man sie aus der „Dreigroschenoper“ oder „Mahagonny“ von Brecht/Weill zu kennen glaubt.

Und auch Komponist Moritz Eggert stößt in dieses Horn: Viele der 21 Songs dieser „Bordellballade“ sind direkt als Reflektion auf Vorbilder wie den Mackie-Messer-Song, die Ballade von der sexuellen Hörigkeit oder – aus diesem Zeitrahmen fallend – Hilde Knefs „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ geschrieben. Das ganze hochunterhaltsam, virtuos orchestriert für kleines Ensemble – offensichtlich ein Herzensanliegen des Komponisten. Aber richtig spannend wird es, wenn das Auftragswerk für das Dessauer Kurt-Weill-Fest, das Koblenzer Theater und die Neuköllner Oper in Berlin sich von dieser Beschäftigung mit den Wurzeln entfernt. Dann entfesselt Franzobels Sprachkunst ihre skurrile Faszinationskraft, dann verlässt Moritz Eggert die schmeichelnde Tanz-Harmonie scheibchenweise und irritiert das soeben noch schmeichelnd-verwöhnte Ohr der Zuhörer: So entstehen immer wieder Chanson-Preziosen, die tiefgründig unterhalten.

Die Geschichte, die dabei erzählt wird, ist tatsächlich das schwächste Glied. Ein Bordell an der Grenze ruft in der Wirtschaftskrise den altbewährten Tauschhandel aus: Verkehr gegen Naturalien. Der örtliche Schutzgelderpresser sieht seine Felle davonschwimmen und wird brutal, und die (Zahl-)Moral von der Geschicht‘: Eigentlich hätten alle ein besseres Leben verdient gehabt, aber selbst dann, wenn die großen Träume nicht in Erfüllung gehen, kann man dieses Leben sehr lieben. Die Ansiedlung im Bordellmilieu hat den Vorteil, alle Konflikte schnell und knallhart auf den Punkt bringen Speichern zu können – und bietet den Startpunkt für einige ganz bewusst eingesetzte Schweinigeleien, die von der dann besonders gefälligen Musik konterkariert werden („Do You Like Animals?“ – „Haben Sie schon mal mit einem Tier?“).

Regisseur Robert Lehmeier und Bühnenbildner Dirk Steffen Göpfert brauchen in den Koblenzer Kammerspielen keinen Puffplüsch, um die Geschichte zu erzählen: Ein Lagerregal tut’s auch, der Akt selbst ist mit dem Wegschmeißen von Kleenextüchern genug angedeutet. Die Regie trägt der Taktik der Musik und des Textes Rechnung: Vor allem am Anfang immer wieder kleine Flirts mit den Grundfesten des (Brecht’schen) epischen Theaters, dann schwimmen die Figuren sich frei – eine gelungene Gratwanderung zwischen Vorbild und eigener Interpretation. Die musikalische Umsetzung der Produktion schließlich ist hinreißend: Was Dirigent Arno Waschk mit seinen neun Musikern und den Schauspielern herausholt, könnte (und sollte!) sofort auf CD gebannt werden.

Die sängerische Bandbreite ist aufregend groß: Adrian Becker gibt den zweigesichtigen Lokalmafioso mit Musical-Eleganz, Kammersängerin Claudia Felke als Puffmutter Rosl ist in den Chansonnummern ohnehin trefflich besetzt – und darstellerisch ganz in die tiefe Tragikomik ihrer Figur eingetaucht. Dorothee Lochner und Isabel Mascarenhas nutzen als Hurenduo zwischen Freiheitsdrang und Opferschicksal die Gelegenheit, ordentlich Gas zu geben. Matthias Schaletzky vollzieht den gar nicht so weiten Weg vom frustrierten Fliesenleger zum Hilfsfolterknecht Bussibär mit knorriger Entschiedenheit. Schließlich Marcel Hoffmann als gesangsstarker Metzger Alfred, dem die Franzobel’schen Sprachumwege wie in die Kehle geschrieben sind: eine runde Ensembleleistung in einer gefeierten Premiere.“

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